Neuntes Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes
Ich freue mich, der Leserschaft mitteilen zu können, dass nun das neunte Gesetz zur Änderung des
BundesVertriebenengesetzes vom 4.12.2011 im Bundesgesetzblatt verkündet worden ist und am Tag nach der
Verkündung (9.12.2011) in Kraft getreten ist (Bundesgesetzblatt Jahrgang 2011 Teil I Nr. 62 ).
Im Herkunftsland verbliebene Abkömmlinge (und auch Ehegatten) von Spätaussiedlern können nachträglich in den
Aufnahmebescheid einer Bezugsperson einbezogen werden.
§ 27 Abs. 3 BVFG lautet (auszugsweise) nun wie folgt:
„Abweichend von Abs. 1 kann der im Aussiedlungsgebiet verbliebene Ehegatte oder Abkömmling eines
Spätaussiedlers, der seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes hat, nachträglich nach Abs. 1 Satz 2 in
den Aufnahmebescheid des Spätaussiedlers einbezogen werden, wenn die Versagung der nachträglichen Einbeziehung
eine Härte für den Spätaussiedler oder für seinen Ehegatten oder Abkömmling bedeuten würde und die sonstigen
Voraussetzungen vorliegen. Eine Härte im Sinne von Satz eins kann nur durch Umstände begründet werden, die sich nach
der Aussiedlung des Spätaussiedlers belastend auf die persönliche oder familiäre Situation auswirken.“
Mit dem Gesetz wird eine Härtefallregelung geschaffen, um unvertretbare Familientrennungen bei Spätaussiedlern zu
vermeiden. Insbesondere geht es um die nachträgliche Einbeziehung von Abkömmlingen von Spätaussiedlern in deren
Aufnahmebescheid. Ehegatten können auch nachträglich einbezogen werden, allerdings dürfte es sich hierbei aus
nachvollziehbaren Gründen nur um wenige Fälle handeln, so dass der praktische Schwerpunkt der Neuregelung sicherlich
bei den Abkömmlingen liegt. Auch noch Jahre nach der Übersiedlung der Bezugsperson nach Deutschland könnten
Tausende der im Herkunftsland verbliebenen Kinder, Enkelkinder und sogar Urenkelkinder den Abkömmlingsstatus
bekommen und zusammen mit ihren Familienangehörigen zu ihren betagten Eltern oder Großeltern ziehen.
Was sind nun im einzelnen die Voraussetzungen?
Bei der Bezugsperson muss es sich um einen Spätaussiedler handeln, also eine Person, die nach dem 31.12.1992 nach
Deutschland übergesiedelt ist. Personen, die davor übergesiedelt sind, sind Aussiedler oder Vertriebene. In ihren
Aufnahmebescheid kann leider keine Einbeziehung erfolgen.
Die üblichen Voraussetzungen müssen vorliegen: Der Antrag auf Einbeziehung ist von der Bezugsperson persönlich zu
stellen. Die einzubeziehende Person (Kind, Enkelkind, Urenkelkind, aber auch im Einzelfall der im Aussiedlungsgebiet
verbliebene Ehegatte) muss Grundkenntnisse der deutschen Sprache (Zertifikat A1) nachweisen. Hiervon kann nur
eine Ausnahme gemacht werden, wenn jemand wegen einer Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX
keine Grundkenntnisse der deutschen Sprache besitzen kann. Insbesondere dann, wenn die Härte mit der
gesundheitlichen Situation der einzubeziehenden Person begründet wird, ist an diesen Ausnahmetatbestand zu denken.
Die wichtigste Voraussetzung ist natürlich das Vorliegen einer „Härte“. Was darunter zu verstehen ist, lässt
das Gesetz weitgehend offen.
Da der deutsche Gesetzgeber mit verschiedenen Härtefallbegriffen arbeitet (besondere Härte, außergewöhnliche Härte) steht
fest, dass keine allzu großen Anforderungen an das Vorliegen einer Härte im Sinne von § 27 Abs. 3 BVFG gestellt werden
können. Auf der anderen Seite stellt das Gesetz klar, dass es sich schon um Umstände handeln muss, die sich nach der
Aussiedlung verändert haben. Wenn Familienangehörige also in gemeinsamem Einvernehmen beschlossen haben, in
verschiedenen Kontinenten zu leben und sie diese Entscheidung lediglich aus rein persönlichen Gründen bereuen, liegt
keine Härte im Sinne des Gesetzes vor. Es muss also etwas sein, was über die mit einer Trennung der Familie
verbundenen Probleme hinausgeht.
In der Gesetzesbegründung werden folgende Fallgruppen genannt:
Das Kind entscheidet sich zunächst, im Aussiedlungsgebiet zu bleiben, weil sein nichtdeutscher Ehegatte nicht nach
Deutschland übersiedeln will. Es ist einer der letzten seiner deutschen Familie, die noch im Aussiedlungsgebiet leben,
und seine Lebensumstände ändern sich (zum Beispiel durch Trennung vom Ehegatten oder Versterben des Ehegatten).
Dies ist ein häufiger Fall. In Betracht kommt auch eine nunmehr bestehende Hilfsbedürftigkeit des Abkömmlings,
beispielsweise durch eigene Erkrankung oder Tod von Betreuungspersonen. Eine weitere Konstellation könnte Fälle
erfassen, in denen die im Bundesgebiet lebenden Eltern wegen ihres Alters oder ihres gesundheitlichen Zustandes
unter der Trennung von ihrem Abkömmling gravierend leiden.
Letzteres kann natürlich vorliegen, wenn sich die bloße Traurigkeit über die Trennung der Familienmitglieder in eine
schwere Depression mit Krankheitswert verwandelt. Dies ist nicht selten anzutreffen.
Als weitere Fallkonstellation kommt meines Erachtens in Betracht, dass bis vor ca. zehn Jahren Spätaussiedler, die
übersehen hatten, dass eine nachträgliche Einbeziehung in ihren Aufnahmebescheid nach erfolgter Übersiedlung nach
Deutschland nur noch in wenigen Ausnahmefällen möglich ist, vom Bundesverwaltungsamt trotz Erkennbarkeit ihres
Irrtums nicht nachhaltig darauf hingewiesen worden sind, dass sie ihre Aussiedlung zunächst zurückstellen mussten, um
die Einbeziehung ihrer Kinder abzuwarten. Beispiel: Herr Wladimir Schmidt stellt zusammen mit seinen Kindern im
Jahre 1997 einen Aufnahmeantrag. Im Jahre 2000 erhält er einen Aufnahmebescheid. Seine Kinder erhalten alle
Ablehnungsbescheide, da sie ganz offensichtlich nicht die Aufnahmevoraussetzungen erfüllen. Das
Bundesverwaltungsamt versäumt jedoch, Herrn Schmidt noch einmal ausdrücklich und in klaren Worten darauf
hinzuweisen, dass er seine Kinder gemäß § 7 BVFG in seinen Aufnahmebescheid einbeziehen kann und dass er bis zur
Einbeziehung der Kinder seine Übersiedlung nach Deutschland aufschieben muss. Stattdessen siedelt er alleine nach
Deutschland über und wird von seinen Kindern getrennt.
Weitere Härtefallkonstellationen sind denkbar. Alles hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Denkbar ist auch ein
unverschuldeter Wegfall der wirtschaftlichen Lebensgrundlage, etwa wenn das Wohnhaus des Betreffenden abbrennt
oder dergleichen.
Es spielt keine Rolle, ob das Bundesverwaltungsamt in der Vergangenheit die Einbeziehung abgelehnt hat. Es gibt
keine Antragsfristen, die Betreffenden haben also genug Zeit, sich zur Vorbereitung des Antrags die erforderlichen
Sprachkenntnisse anzueignen.
Da das Gesetz ganz neu ist, liegen natürlich keinerlei Erfahrungen mit diesem bevor. Im Zweifel gilt, dass Anträge zu
stellen sind, da Härtefallgründe vielfältiger Natur sein können. Gegen ablehnende Entscheidungen des
Bundesverwaltungsamts kann Widerspruch eingelegt werden (hier aber bitte die Monatsfrist beachten!), gegen die
Zurückweisung des Widerspruchs kann binnen Monatsfrist Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln erhoben werden.
Mit dem neuen Gesetz hat der Gesetzgeber die lange ersehnte Härtefallregelung geschaffen. Bitte beachten Sie aber,
dass in noch laufenden Aufnahmeverfahren sich niemand auf diese Regelung berufen kann. Wer also jetzt einen
Aufnahmebescheid erhält und sehenden Auges nach Deutschland übersiedelt, nach dem Motto, dass die Härtefallregelung
schon helfen wird, seine Kinder in den Aufnahmebescheid einzubeziehen, wird enttäuscht werden. Die Härtefallregelung
ist nur für die Fälle geschaffen worden, in denen etwas schief gegangen ist und den Betroffenen deswegen auch kein
Vorwurf gemacht werden kann.